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Titel
Spontis. Eine Geschichte antiautoritärer Linker im roten Jahrzehnt


Autor(en)
Kasper, Sebastian
Erschienen
Münster 2019: Edition Assemblage
Anzahl Seiten
253 S.
Preis
€ 14,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Hanno Balz, Faculty of History, University of Cambridge

„Freiheit für Grönland, weg mit dem Packeis!“ Solche und viele weitere polit-dadaistische Bonmots machten seit den späten 1970er-Jahren als „Sponti-Sprüche“ ihre Runde und füllten unter anderem mehrere Bände gleichen Namens im Eichborn-Verlag. Doch geht es um die politische Bewegung der „Spontis“, so bleibt diese bis heute vergleichsweise blass, wenn man vom verklärenden Mythen-Make-up ehemaliger Aktiver und späterer Minister und Kulturdezernenten einmal absieht.

Sebastian Kasper hat es sich nun zur Aufgabe gemacht, vor allem aus den Publikationen des Sponti-Umfeldes eine Bewegungsgeschichte nachzuzeichnen.1 Sein Schwerpunkt liegt hierbei auf drei regionalen Gruppen, die sich selbst im weitesten Sinne zur Sponti-Szene zählten: die „Proletarische Front“ (PF) aus Hamburg, der „Revolutionäre Kampf“ (RK) aus Frankfurt am Main und schließlich die Gruppe „Arbeitersache“ (AS) aus München – was eine interessante Perspektive darstellt, stand doch München als Metropole linker und sozialer Bewegungen bisher eher wenig im Fokus von Zeitgeschichtsschreibung und Bewegungsgedächtnis.

Zunächst war der Name „Spontis“, im Gegensatz zu früheren vagen Bezeichnungen wie „Anarchos“ etc., eine spöttische Zuschreibung aus der K-Gruppen-Ecke, da sich die Aktivist/innen der undogmatischen Linken gerne auf die „Spontaneität der Massen“ (Luxemburg und Lenin) bezogen. Kasper betont, dass sich die Bezeichnung erst um das Jahr 1973 durchsetzte, nach einer Zeit des tendenziellen Niedergangs linksradikaler Bewegungen bzw. einer weitreichenden Umorientierung und Neuorganisierung.

Der Autor schildert drei Hauptphasen des nur ein Jahrzehnt andauernden Sponti-Aktivismus. In der Entstehungsphase zwischen 1967 (was etwas früh gegriffen wirkt) und 1971 waren jene ersten undogmatischen linken Gruppen, die sich als eigentliche Erben der APO und damit als „Anti-K-Gruppe“ (S. 26) sahen, immer wieder darum bemüht, „den Marxismus links zu überholen“, wie es später in einem Szene-Rückblick heißt (S. 41). Hierbei stellt Kasper zu Recht immer wieder den großen Einfluss der operaistischen Linken Italiens heraus. In der Tat wurde besonders während der zweiten Organisationsphase der Sponti-Gruppen ab 1971 unter den Vorzeichen einer „proletarischen Wende“ das Modell der italienischen „Lotta Continua“ auf die bundesdeutschen Verhältnisse zu übertragen versucht – jenseits der Gewerkschaften und stattdessen mit dem Ansatz einer multinationalen Arbeiter/innenorganisation. Entsprechend basierte der Schlachtruf der nun erklärten „Fabrikintervention“ auf dem Titel des linken Bestsellers „Vogliamo Tutto“ („Wir wollen alles“) von Nanni Balestrini, welcher ebenso wie Schriften von „Lotta Continua“ und der französischen „Gauche prolétarienne“ während der frühen 1970er-Jahre im Trikont Verlag erschien.2 Dabei war der Weg in die Fabriken, ob bei Opel (Frankfurt) oder bei Siemens und BMW (München) mitunter ein nachhaltigerer Teil von Sponti-Biografien als allgemein kolportiert. Es war nicht für alle lediglich eine vorübergehende, als proletarisch imaginierte politische Selbstfindung, sondern für viele eine reguläre Erwerbstätigkeit, denn etliche Aktivist/innen blieben schließlich auf Dauer in den Fabrikjobs – wenn auch zum Teil bald in Betriebsratspositionen und ähnlichem.

Interessant ist, wie Frauengruppen innerhalb der Szene spezifische Realitäten vorfanden und entsprechend ihre Agitation im Betrieb anpassten. So wurde ein eigener „Büro-Ansatz“ der politischen Arbeit entwickelt (etliche Genossinnen arbeiteten als Sekretärinnen oder Bürokräfte) und zunehmend auch, wegweisend für spätere feministische Politik, der Zusammenhang von Reproduktions- und Lohnarbeit in den Vordergrund gerückt (S. 54). Doch galt die „Fabrikintervention“ schon bald als gescheitert. Entlassungen der Aktiven drohten, und eine allgemeine Desillusionierung setzte ein. Ironie der Bewegungsgeschichte: Die Welle „wilder Streiks“, vorwiegend getragen durch migrantische Arbeiter/innen, fand schließlich ohne die Spontis statt.

Bald darauf begann die nächste Phase der Umorientierung, von Kasper als „alternative Wende“ bezeichnet – in der zweiten Hälfte der 1970er-Jahre rückte das Selbst in den Vordergrund, wie auch zuletzt in der Zeitgeschichtsforschung immer wieder betont wurde.3 Hausbesetzungen, Nachbarschaftsarbeit und alternative Betriebe verschafften der Sponti-Bewegung regen Zulauf und breite Sympathien auf lokaler Ebene, was durch eine besonders zur Schau gestellte Militanz (die berüchtigte Frankfurter „Putztruppe“ mit dem jungen Joschka Fischer) teilweise konterkariert wurde. Nun trat das ein, was allgemein auch den Übergang zu den Neuen Sozialen Bewegungen charakterisierte: die Transformation in Einzelströmungen, die in ihrer Gesamtheit schließlich ein mehr oder weniger amorphes „alternatives Milieu“ bildeten, welches sich insgesamt theoriefeindlicher gab. Hier setzte schließlich vor allem im Noch-Sponti-Spektrum die Suche nach einer neuen Innerlichkeit ein – Esoterik und Bhagwan-Kult inbegriffen. Dazu passt, was Juli Zeh kürzlich schrieb: „Wenn der Glaube an das Gute versagte, musste er durch den Glauben an das Eigene ersetzt werden.“4 In strikter Abgrenzung betonten die Hamburger Fraktion um Karl Heinz Roth und die Redaktion der Autonomie. Neue Folge5 die Notwendigkeit einer anti-imperialistischen und weiterhin sozialrevolutionären Perspektive, doch Mitte der 1980er-Jahre waren auch hier Auflösungstendenzen eingetreten, bzw. das Aufgehen in der neuen Bewegung der Autonomen. Die Zerfallsphase datiert Kasper auf Sommer 1979 bis 1982/1983.

Was blieb also von den Spontis? Ein Verdienst dieser Darstellung ist der Blick auf die transnationale Dimension der antiautoritären Linken, insbesondere im Verhältnis zu den italienischen Bewegungen. Ein Exkurs widmet sich dem Verhältnis zu Israel und den palästinensischen Gruppen. Vereinzelt traten auch bei den Spontis antisemitische Projektionen hervor, die jedoch ebenso in der Szene scharf kritisiert wurden. Hervorgehoben wird außerdem die Bedeutung feministischer Politik im Sponti-Spektrum. Kasper sieht die Spontis zuerst als plurale und vor allem dezentrale Bewegung, dabei als wichtige Brücke zwischen der Neuen Linken der 1960er-Jahre und den Neuen Sozialen Bewegungen sowie den Grünen in den 1980er-Jahren. Zu dieser Rolle vermerkte der Pflasterstrand 1982, die Spontis seien „Doktor Frankenstein und Versuchskaninchen in einem“ gewesen (S. 229).

Dennoch bleibt die Bedeutung der Spontis in Kaspers Darstellung eigenartig konturlos. Es ist verdienstvoll, dass der Autor viele Quellen aus der Bewegung sprechen lässt; er strapaziert die Geduld der Leser/innen des Öfteren jedoch mit teils redundanten Interpretationen. Auch die Literaturbasis lässt mitunter zu wünschen übrig – wenn der geschichtliche Kontext der chinesischen Kulturrevolution hauptsächlich auf einem Artikel der Zeitschrift Aus Politik und Zeitgeschichte fußt, dann führt das beim Rezensenten zu leichtem Stirnrunzeln.

Ein Hauptproblem der Studie ist, dass sie mitunter eigenartig gestückelt wirkt, was vermutlich der Tatsache zuzuschreiben ist, dass die Grundlage für das Buch eine sehr viel umfangreichere Dissertation war. Hier hätte das Lektorat bessere Arbeit leisten müssen. Auch schwächelt die Darstellung, wenn es um die Einbettung in den zeitgeschichtlichen Kontext geht – die Spontis bleiben auf diese Weise eigentümlich isoliert. Wo findet man mehr zu den staatlichen Reaktionen, zur Gesamtheit der linken Szene der 1970er-Jahre (KB, KBW etc.), zu Punk oder Friedensbewegung? So fällt das Buch in Teilen hinter umfassendere Arbeiten wie etwa von Sven Reichardt zurück. Um noch einmal die „Sponti-Sprüche“ zu erwähnen: Gerade das Spielerisch-Provokative der Bewegungsformen, die mitunter ironische Brechung polit-theoretischer Gewissheiten, hätte hier eine nähere Untersuchung verdient gehabt, denn im Gegensatz zu den K-Gruppen zelebrierten die Anti-Autoritären ihren Protest nicht selten als Spektakel und stellten sich damit bewusst in Tradition zu Vorläufern wie beispielsweise der Situationistischen Internationalen.

So bleibt festzuhalten, dass Sebastian Kasper ein anschauliches Bild der Spontis vor allem aus Selbstzeugnissen zu vermitteln weiß und dabei gezielt bestimmten Mythenbildungen der letzten Jahrzehnte entgegentritt. Die zeithistorische Einordnung ließe sich aber noch ausbauen.

Anmerkungen:
1 Dies sind in erster Linie: Blatt (München), Pflasterstrand (Frankfurt am Main), Wir wollen alles und Autonomie (überregional) sowie einzelne Veröffentlichungen aus dem Münchner Trikont Verlag. Die für das Buch gekürzte und überarbeitete Dissertationsfassung ist abrufbar unter https://freidok.uni-freiburg.de/data/15229 (13.09.2019).
2 Hierzu auch: Uwe Sonnenberg, Von Marx zum Maulwurf. Linker Buchhandel in Westdeutschland in den 1970er Jahren, Göttingen 2016, S. 187f.
3 Joachim C. Häberlen, The Emotional Politics of the Alternative Left. West Germany, 1968–1984, Cambridge 2018; ders. / Mark Keck-Szajbel / Kate Mahoney (Hrsg.), The Politics of Authenticity. Countercultures and Radical Movements across the Iron Curtain, 1968–1989, New York 2018; Belinda Davis u.a. (Hrsg.), Changing the World, Changing Oneself. Political Protest and Collective Identities in West Germany and the U.S. in the 1960s and 1970s, New York 2010; Sven Reichardt, Authentizität und Gemeinschaft. Linksalternatives Leben in den siebziger und frühen achtziger Jahren, Berlin 2014; Jan-Henrik Friedrichs / Hanno Balz, Individualität und Revolte im neoliberalen Aufbruch. Annäherungen an eine Kultur- und Sozialgeschichte der europäischen Protestbewegungen der 1980er Jahre, in: dies. (Hrsg.), „All We Ever Wanted...“. Eine Kulturgeschichte europäischer Protestbewegungen der 1980er Jahre, Berlin 2012, S. 13–35, https://www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/pdfs/Manuskripte/Manuskripte_98.pdf (13.09.2019).
4 Juli Zeh, Unterleuten. Roman, München 2016, S. 614.
5 Vgl. das Heftarchiv: http://autonomie-neue-folge.org (13.09.2019).